ZARTE MÄNNER – in der Skulptur der Moderne
Das Edwin Scharff Museum widmet sich mit dieser Ausstellung den zarten Männern in der Skulptur der Moderne mit rund 60 Plastiken u. a. von Adolf von Hildebrand, George Minne, Hermann Blumenthal, Georg Kolbe und Gerhard Marcks.
In auffallender Vielzahl bearbeiteten die Bildhauer seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert den Topos des unversehrten, aber verletzlichen Jünglings. Die Konzeption eines empfindsamen männlichen Körperideals erscheint als bewusste Gegenbewegung zu den heroisch-starken Männerbildern der Zeit. Ihre demonstrative Wehrlosigkeit steht in innerem Widerspruch zur Brutalität der äußeren Wirklichkeit. In einem Umfeld des kriegerisch-militanten Selbstbewusstseins der späten Kaiserzeit und noch junger Demokratiebewegungen suchten die vorwiegend männlichen Künstler nach Verfeinerung von Körper und Geist. Der Kult um die Jugend, der sowohl in militanten wie in pazifistischen Kreisen in der Zeit um 1900 blühte, beflügelte dieses Ideal des zarten Mannes. In den literarischen Figuren von Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und Georg Trakl oder im Kreis um Stefan George finden sich in der Literatur zahlreiche Parallelen zu diesen ungewöhnlich sanften Männerbildern.
Bereits im späten 18. Jahrhundert kam es mit der Klassik zu einer Rückbesinnung auf die Antike und die Plastik der Renaissance. Darstellungen von Amor, Narziss, Pygmalion oder Ganymed als zarte Jünglingsfiguren erfreuten sich großer Beliebtheit in öffentlichen und vor allem auch privaten Skulpturensammlungen. Die moderne Skulptur löste sich jedoch von solchen narrativen Zusammenhängen und bot offener als je zuvor Menschenleiber, die von einer inneren, wie äußeren zarten Regung durchdrungen sind. Die zarten Männer von Hildebrand, Minne und vielen ihrer Zeitgenossen beharren auf ihre Empfindsamkeit, auf eine Feinsinnigkeit, die Schutzlosigkeit nicht scheut, auf ein Innehalten und nach innen Lauschen anstelle von äußerlicher Selbstdarstellung.
Lehmbrucks „Gestürzter“ von 1915 /16markiert in vielfacher Hinsicht einen Wendepunkt in der Körperauffassung moderner Skulptur – darüber hinaus jedoch auch in ihrer Haltung zu den Umständen der Zeit, in deren Kontext sie gesehen werden muss. Danach erscheint die schönlinige Darstellung des unversehrten Körpers angesichts der Zeitumstände mindestens weltabgewandt, wenn nicht sogar anachronistisch oder reaktionär. Mit Werken von Hermann Blumenthal, Joachim Karsch, Gerhard Marcks oder Renée Sintenis formierte sich jedoch eine neuere Bildhauerei, die das Verletzliche, teils innerlich wie äußerlich Fragile, in ihren sanften Körperkonzeptionen mitdenkt. Besonders eindrucksvoll sind hier die Beispiele aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, in der die geforderte Weltordnung endgültig keinen Platz mehr für die Zögerlichen, die Zaudernden und die Zweifler vorsah.
Die vom Georg Kolbe Museum konzipierte Ausstellung umfasst Werke von Bildhauern aus drei Generationen. Die darin vermittelten Männerbilder stehen teils in herbem Widerspruch zur äußeren Wirklichkeit und ihrer kanonisierten Geschichtsschreibung, gleichzeitig zeigen sie die Vielfalt moderner Geschlechterrollen, die Ausdruck einer bis heute aktuellen Emanzipationsgeschichte sind.
Den Katalog zur Ausstellung erhalten Sie im Museumsshop oder per Mail an esm@neu-ulm.de.
Titelbild: George Minne, Kniender, 1906, Städtisches Karl Ernst Osthaus Museum, Hagen. Foto Bildarchiv Foto Marburg