Die große Inspiration – Deutsche Künstler in der Académie Matisse
Das deutsche Wirtschaftszentrum des Nordens hatte im 19. Jahrhundert keine lebendige Kunstszene entwickelt, wie sie etwa Städte wie München oder Berlin vorweisen konnten. Es gab weder eine Ausbildungsstätte für angehende Künstlerinnen und Künstler, noch eine Universität; zudem fehlte eine historisch gewachsene Sammlung als Inspirationsquelle. Dem Arbeitsethos der gesellschaftlich einflussreichen Kaufleute widersprach darüber hinaus ein Engagement für Kunst.
Erst Alfred Lichtwark (1852-1914), der 1886 zum Direktor der Hamburger Kunsthalle berufen worden war, gelang es, diese Strukturen aufzubrechen. Mit ihm wirkte ein herausragender Vertreter der deutschen Kunsterziehungsbewegung in der Hansestadt, der gleichzeitig eine junge Malergeneration förderte, die sich 1897 im „Hamburgischen Künstlerclub“ zusammenschloss.
Hier wurde eine vom Impressionismus beeinflusste und thematisch auf die heimische Landschaft konzentrierte Malerei gepflegt.
Als Schüler von Arthur Siebelist (1870-1945) gehörten auch Friedrich Ahlers-Hestermann, Franz Nölken und Walter Alfred Rosam dieser Künstlervereinigung an. Vor diesem Hintergrund entwickelten sie ein Frühwerk, das von einem intensiven Naturstudium und der lichten Atmosphäre des „plein air“ geprägt ist. Vergleichbare künstlerische Grundlagen erhielt Gretchen Wohlwill als Schülerin der privaten Malschule für Damen von Valesca Röver, an der einige der Künstlerclub-Mitglieder unterrichteten.
Neuere Kunstbewegungen wie z.B. Fauvismus und Expres-sionismus hatten in Hamburg wenig Chancen, ausgestellt oder wahrgenommen zu werden. Um so dringender erschien den jungen Künstlerinnen und Künstlern ein längerer Aufenthalt in Paris, um neue Impulse zu erhalten und den Anschluss an die künstlerischen Entwicklungen der eigenen Zeit zu finden.
Vor dem Ersten Weltkrieg traf sich in Paris eine internationale Kunstszene. Aus Deutschland strömten besonders viele junge Künstlerinnen und Künstler in die Metropole, da die französische Malerei seit Ende des 19. Jahrhunderts eine prägende Vorbildfunktion für die Avantgarde übernommen hatte. Daran konnten auch die Diskreditierung durch die offizielle Kunstpolitik und das problematische Verhältnis des Deutschen Kaiserreiches zu Frankreich nichts ändern.
Zwischen 1907 und 1913 hielten sich auch die drei Hamburger Künstlerfreunde Friedrich Ahlers-Hestermann, Franz Nölken und Walter Alfred Rosam, sowie die ebenfalls aus Hamburg stammen-de Malerin Gretchen Wohlwill in Paris auf. Sie erhofften sich hier eine Horizonterweiterung und einen Zugewinn an künstlerischer Inspiration.
Im berühmten Café du Dôme, dem wichtigsten Treffpunkt der ausländischen Künstler in Paris, knüpften sie Kontakte zu Kollegen, Galeristen, Sammlern und Kritikern. Sie fanden Zugang zu den wichtigsten Privatsammlungen und studierten die aktuelle französische Kunst vom Impressionismus bis zum frühen Kubismus.
Eine Schlüsselfigur der Pariser Kunstszene war Henri Matisse, der als Mitbegründer der ‚Fauves‘ bereits große Popularität gewon-nen hatte. Von seiner Persönlich-keit und seinen innovativen Werken begeistert, traten die vier 1909 in seine Académie ein. Hier und in der Auseinandersetzung mit dem Werk von Paul Cézanne wurde eine befreiende Entwick-lung angestoßen, die in den Arbeiten der Künstler zu einer moderneren Bildsprache führte.
Die Gründung der Académie ging weniger auf die Initiative von Henri Matisse als vielmehr auf das Engagement junger Kunstschaffender zurück, die in Paris Arbeiten von Matisse gesehen hatten und ihn als Lehrer wünschten. Im Januar 1908 öffnete die Atelierschule in einem leerstehenden Kloster, dem Couvent des Oiseaux an der Rue de Sèvres. In kürzester Zeit bildete sich in den Räumen der Académie eine internationale Ateliergemein-schaft, der zwischen 1908 und 1911 etwa 120 Künstler und Künstlerinnen beitraten.
Im Frühjahr 1908, als der Couvent des Oiseaux verkauft wurde, zog die Malschule in neue Räume im Couvent de Sacré Coeur auf dem Boulevard des Invalides, Ecke Rue de Babylone um. Matisse nahm dort mit seiner Familie auch seinen privaten Wohnsitz und stand den Schülern einmal pro Woche zur Korrektur zur Verfügung.
In der Académie Matisse wurde gezeichnet, gemalt und modelliert, darüber hinaus fanden intensive Gespräche zwischen dem Lehrer Matisse und seinen Schülern über die Grundlagen des modernen Kunstverständnisses statt. Henri Matisse betonte dabei die Bedeutung des Naturstudiums als zentralen Bestandteil der künstlerischen Ausbildung. Er verstand die Auseinandersetzung mit dem Naturvorbild als einen Prozess der Durchdringung, der in der Befreiung vom Abbildcharakter des Bildes münden sollte. In diesem Sinne formulierte er: „Schaffen heißt, mit Hilfe der alten Gesetze eine neue Einheit finden.“
Die Ausstellung zeigt Arbeiten von u.a. Friedrich Ahlers-Herstermann, Franz Nölken, Walter Alfred Rosam und Gretchen Wohwill.